Komiker aus Versehen

Ein musikalischer Theo Lingen – Abend
Buch: Tilmann von Blomberg
Songtexte: Ilja Richter
Musik: Ilja Richter, Daniel Große Boymann u.a.
Besetzung: 1D / 3H
UA: 01.07.2011 in der Komödie im Marquardt, Stuttgart
Regie: Ulf Dietrich
Aufführungsrechte: Gallissas Theaterverlag

Darsteller der Uraufführung:
Daniel: Daniel Große Boymann
Lingen: Ilja Richter
Der junge Lingen: Gideon Rapp
Theo: Irina Wrona

Inhalt:
Daniel ist verzweifelt: Zusammen mit seinen Co-Autoren Irina und Gideon soll er ein Stück über den berühmten Filmkomiker Theo Lingen schreiben. Die Zeit drängt, Premiere ist in zwei Monaten, das Stück ist prominent besetzt. Doch Daniel hat noch keine Szene auf dem Papier. Zu sehr kollidieren die Erwartungen an einen „lustigen Theo Lingen-Abend“ mit seinen eigenen Ideen einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema. Dem Produzenten am Telefon erzählt er, er sei fast fertig, hocherfreut beraumt der für den nächsten Tag eine Pressekonferenz ein, bei der das Stück vorgestellt werden soll. Angesichts der bevorstehenden Katastrophe kündigen Irina und Gideon ihre Mitarbeit und lassen Daniel allein.
Es ist spät in der Nacht. Frustriert wünscht sich Daniel, die Zeit zurückdrehen und mit Lingen persönlich sprechen zu können, um so die nötige Inspiration für sein Stück zu bekommen. Er will den Menschen hinter den biografischen Fakten kennenlernen. Ein Kurzschluss lässt alle Lichter verlöschen. In der Dunkelheit erklingt eine wohl bekannte Stimme und als Daniel notdürftig wieder Licht gemacht hat, steht er einem eleganten älteren Herrn gegenüber, der sich als Theo Lingen vorstellt: Er würde hier wohl gebraucht. Gemeinsam begeben sich die beiden auf eine manchmal vergnügliche, manchmal nachdenkliche Reise durch die Zeit.
Von den Anfängen in Hannover und Halberstadt über die ersten Schritte in Berlin, den Starruhm während des Dritten Reiches, bis hin zu den Filmklamotten der 70er Jahre. Stets erweist sich Daniel als aufmerksamer Beobachter, stellt die nötigen, manchmal unbequemen Fragen und schlüpft nach Bedarf auch in die verschiedensten Rollen, um die Situationen ganz real nachvollziehen zu können – um gleich darauf von Lingen korrigiert zu werden. Berthold Brecht, Gustaf Gründgens und Josef Goebbels treten ebenso in Erscheinung, wie Lingens Ehefrau Marianne und der junge Ilja Richter. Dazwischen erklingen berühmte Schlager von Theo Lingen, die teilweise oder ganz für die entsprechende Situation mit neuen Texten versehen sind. So nähert sich Daniel immer mehr der Persönlichkeit Theo Lingen, ein Vorgang, der seiner Arbeit als Autor entspricht. Dabei fallen die Fragen, die er stellt, auf ihn selbst zurück, denn letztlich geht es hier wie dort um die Position des Künstlers zwischen seiner eigenen kreativen Freiheit und den Erwartungen, die ein zahlendes Publikum an ihn stellt.
Das Stück endet mit der Aussicht, dass Daniel nun genug Selbstbewusstsein entwickelt hat, um seine eigenen Vorstellungen eines Theo Lingen-Stückes durchzusetzen. Lingen, dessen Weiterleben in der allgemeinen Erinnerung von jungen Menschen wie Daniel abhängt, verabschiedet sich und er verschwindet.

1947 schrieb Theo Lingen seine Historien-Komödie „Theophanes“, in der ein begeisterter Geschichtsliebhaber bei einem Kurzschluss in der Zeit zurückreist, um als Schreiber Theophanes die Verwirrungen um den Beginn des mithridatischen Krieges zu ordnen.
Der Lingen-Abend Komiker aus Versehen bedient sich ganz bewusst der gleichen Erzählstruktur und schlägt so einen Bogen zu Lingens eigenem Werk, in dem es unter anderem darum geht, dass wir historische Persönlichkeiten immer nur aus unserer eigenen Zeit heraus interpretieren können, dass das, was wir heute in ihnen sehen, nicht zwangsläufig das ist, was sie selbst in sich gesehen haben.
Mit diesem Umstand spielt Komiker aus Versehen, da Daniel zwar um des besseren Verständnisses willen immer wieder in andere Rolle schlüpft, dabei aber stets der Autor eines Theaterstückes bleibt, der die historischen Ereignisse hinterfragt und diskutiert. Die Komik entsteht, wenn der Autor mit den ganz normalen Ideen und dem Vokabular eines modernen jungen Mannes versucht, sich mit dem einer anderen Zeit entstammenden und darüber hinaus ja bereits verstorbenen Feingeist Lingen über dessen Leben zu unterhalten. Leiten lässt er sich dabei von seiner eigenen Phantasie, er stellt sich die Szenen vor, spielt sie mit Lingen zusammen nach, nur um dann festzustellen, dass es doch alles ganz anders war. So lernen die Zuschauer gemeinsam mit Daniel den Schauspieler und Mensch Theo Lingen kennen, während gleichzeitig dem Publikum ein Vorgang sichtbar gemacht wird, der sich normalerweise im Kopf eines Autors abspielt.

Bilder

© Fotos: Jürgen Frahm